Es ist ein kalter, sonniger Tag im Januar. Wir hospitieren an der Schule und sind neugierig, was die FAS-Schüler*innen so alles lernen. Bei unserer letzten Hospitation war es Sommer, die meisten Kinder hielten sich im Außenbereich auf. Wir waren damals etwas enttäuscht, weil bei den sorgfältig vorbereiteten pädagogischen Angeboten nichts los war, und haben uns daher bewusst für einen Wintertag entschieden. Heute wollen wir Kinder in der Schule erleben, sehen, welche Angebote sie annehmen und wie sich die Beziehungen untereinander und zu den Begleiter*innen entwickelt haben. Was eine Enttäuschung: Auch heute befinden sich die meisten Kinder wieder im Außengelände. Wind und Wetter scheinen keine Rolle zu spielen.
Sägen, Bauen, Klettern im Außenbereich
Aber, ist es wirklich enttäuschend, dass sich die Kinder gerne im Freien aufhalten? Lernen sie an diesen Tagen wirklich nichts? Wir ziehen unsere Jacken an und verbringen den Vormittag ebenfalls draußen. Soweit es geht, denn wenn man sich nicht bewegt, kann es ganz schön kalt werden. Den Kindern ist es schon mal nicht kalt: Sie rennen, klettern, spielen, fahren mit Rollschuhen, machen ein Feuer, sägen, bauen und so vieles mehr! Hier tobt das Leben und wir stehen – leicht frierend – mitten drin. Haben wir schon etwas gelernt?
Erste Lektion des Tages: Wenn man sich bewegt, wird einem nicht so schnell kalt.
Sich nach Bedarf bewegen zu können ist gesund, wärmt den Körper und erfüllt ein wichtiges natürliches Bedürfnis. Bewegung hängt elementar mit dem Wohlbefinden zusammen. Neben der Freude an der Bewegung, werden auch gesundheitliche Schäden durch Bewegungsmangel weitgehend vermieden. Auch ist aus der Hirnforschung (vgl. Gerald Hüther) bekannt, dass die Intelligenzentwicklung sehr eng mit der Bewegungsfreiheit verbunden ist.
Zweite Lektion: Wer sich bewegt, hat es einfacher mit dem Lernen als wenn er/sie nur sitzen würde.
Unterrichtsraum Außenbereich
Das große Außengelände, welches für die Kinder jederzeit zugänglich ist und ihnen eine freie Bewegungsentwicklung ermöglicht, ist ein wichtiger Ort der Schule. Es wird als „Unterrichtsraum“ betrachtet, in dem viele wichtige Lernprozesse stattfinden. Der Außenbereich besteht aus:
- einen klassischen Spielplatz mit Klettergerüst und Sandgrube
- einen Sportplatz mit Basketballkörben und Fußballtoren
- eine Feuerstelle
- das kleine Wäldchen mit selbstgebauten Lagern
- Kletterbäume
- Hochbeete
- Kräutergarten
- die Terrasse der Kreativwerkstatt
- einen Bauwagen mit Werkzeug, Sportgeräten und Spielmaterialien
Lernprozesse finden ununterbrochen statt. Die Formalisierung von Bildung hat über viele Jahre verdrängt, dass Lernen in Lebenszusammenhängen, als informelles Lernen bezeichnet, ebenfalls seine Berechtigung hat. In Freien Schulen führt dies auf Grund der Freiwilligkeit oftmals zu einem (manchmal spezialisierten) Wissensschatz, den sich die Schüler*innen sozusagen nebenbei aneignen.
Dritte Lektion: Man muss nicht bewusst merken, dass man etwas lernt.
Lernen durch praktische Anwendung
Wir beobachten, wie drei Erst- und Zweitklässler*innen gemeinsam mit Hammer, Nägeln und Säge bewaffnet an einer Hütte bauen. Handwerkliche Fähigkeiten werden geschult und ein erstes Bewusstsein für Statik entwickelt. Nebenbei müssen kleinere Konflikte ausdiskutiert und mit den Hüttennachbarn Verhandlungen geführt werden. Als es anfängt zu nieseln, verkriechen sich die Baumeister*innen in ihrer Hütte, stellen fest, dass ein Dach bei Regen vielleicht Sinn machen würde und verabreden sich zu weiteren Bautätigkeiten, sobald es wieder trocken ist. Ganz nebenbei haben sich diese Kinder in verschiedensten Bereichen praktisches Wissen angeeignet!
Vierte Lektion: Praktisches Wissen ist wichtig und will gelernt sein.
Lernen durch eigene Erfahrung
Es klingt für uns Erwachsene selbstverständlich, aber Kinder müssen erst einmal lernen, dass Häuser auch ein Dach benötigen. Wir können es ihnen natürlich sagen, aber der Lerneffekt ist viel größer, wenn sie durch ihre eigenen Erfahrungen lernen, dass man ohne Dach nass werden kann. Und selbstverständlich kann man durch diese Erfahrung stolz davon berichten: „Mama, heute sind wir in unserer Hütte nass geworden! Damit das nicht wieder passiert, werden wir morgen ein Dach bauen“.
Fünfte Lektion: Aktives Tun befähigt zu Problemlösungen und schafft Selbstvertrauen.
Als der Gong zum Schulende ertönt fahren wir mit dem Bus nach Hause. Mit uns im Bus: Eine Gruppe quietschvergnügter Kinder und Jugendlicher, welche Pläne schmieden für später – im Vertrauen auf die eigene Selbstwirksamkeit.
Wir haben das gute Gefühl, dass wir und auch diese Schüler*innen heute einige wichtige Lektionen gelernt haben. Ob bewusst oder unbewusst ist eigentlich egal.