Schule

Erfahrungsbericht: „Unser Weg an die FAS“

Erfahrungsbericht: Unser Weg an die FAS

Hier schreibt eine Mutter, deren Kinder auf der Freien Aktiven Schule Stuttgart (FAS) sind, ihren persönlichen Erfahrungsbericht: den Weg der Familie an die FAS.

Es muss im Januar 2009 gewesen sein, als ich zum ersten mal die FAS betrat. Unsere Tochter war damals 1,5 Jahre alt, mein Partner und ich, beide im Schuldienst am Gymnasium. Eine Kollegin, mit der ich mich gerne über pädagogische Themen austauschte, hatte mich gefragt, ob ich sie nicht zum Informationsabend an diese Schule begleiten wollte. Im Dunkeln stapften wir damals durch den Schnee zum Großen Haus, wo der „Infoabend“ begann. Der Vortrag, gehalten von einem der „Lernbegleiter“, der u.a. Begriffe wie „nichtdirektiv“ und „Gewaltfreiheit“ erläuterte, rüttelte an meinem bisherigen Weltbild und eröffnete mir eine völlig neue Perspektive auf das Thema Schule.

Elternaufgabe: Loslassen können

Danach nahmen wir an der Schulführung teil. Ich erinnere mich, wie wunderbar für mich die nicht mehr ganz neuen Häuser in der Nacht im Schnee aussahen. Wie mir unvermittelt die Assoziation zu einem wohl bekannten, uneinnehmbaren Gallischen Dorf in den Sinn kam. Am Ende des Rundgangs durch die verschiedenen Räume – die Namen trugen wie „Sonnenzimmer“, „Rosa Raum“ oder auch „Nawi“ und die für mich alle wie bunte, fröhliche Labore einer Wichtelwerkstatt aussahen – konnten die Eltern Fragen stellen. Eine davon drehte sich um das Thema Schulabschluss und Abitur. Ein Satz, den die Schulleiterin Gaby Groß im Laufe ihrer Antwort darauf sagte, brannte sich in mein Gedächtnis ein:

„Wer mit seinem Kind an diese Schule kommt, muss loslassen und Vertrauen in sein Kind haben. Die Probleme machen nicht die Kinder, es sind die Eltern, die sie mit ihrer Erwartungshaltung verursachen.“

Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, so sehr rührte mich diese Aussage. Dennoch sagte ich danach zu meiner Kollegin, dass ich das wohl niemals könnte, loslassen und meinem Kind vertrauen. Natürlich wollte ich, dass mein Kind sein Abitur macht. Dass es wirklich Eltern gab, die sich von diesem Anspruch freimachen konnten, überstieg sowohl meinen Erfahrungshorizont als auch mein Vorstellungsvermögen.

Umweg Kindergarten

Ich trug mich dennoch an diesem Abend in den Newsletter ein und erfuhr so auch, dass bald ein Kindergarten eröffnet werden sollte. Für mich und meinen Partner war zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass unsere Tochter in keine der umliegenden kirchlichen oder städtischen Einrichtungen gehen sollte. Entweder waren sie zu groß, hatten nur einen gepflasterten Hof oder aber Regeln, die uns zwar erzieherfreundlich aber kinderfeindlich erschienen. Wir bekundeten unser Interesse für einen Kindergartenplatz an der FAS. Nun hatte ich meinen Lehrauftrag erhöht und brauchte dringend ab September einen Kindergartenplatz. Leider konnte uns die FAS zum entscheidenden Zeitpunkt nicht sagen, wann genau der „Kiga“ starten würde. Und weil ich Gewissheit brauchte, entschieden wir uns für eine andere Einrichtung.

Eine Freundin, die einen Sohn im gleichen Alter hatte und eine Straße weiter wohnte, beobachtete mein manchmal schon fast verzweifeltes Abwägen zwischen diesem oder jenem pädagogischen Konzept mit selbstbewusster Gelassenheit und war immer entschieden: „Mein Sohn geht in den Kindergarten in unserer Straße, da kann er hinlaufen.“

Ein paar Monate später, wir hatten gerade die Eingewöhnung im Kindergarten hinter uns, rief sie mich verzweifelt an. Sie habe nach einigen Tagen Eingewöhnung ihren Sohn wieder mit nach Hause genommen und ihn abgemeldet. Dass die Kinder beim Spielen Unordnung und Schmutz machen könnten, war die Hauptsorge der Erzieherinnen gewesen. Was sie jetzt tun solle. Jetzt habe sie keinen Kindergartenplatz und alle Einrichtungen seien voll. Ich erinnerte mich an den FAS Kindergarten und erzählte ihr davon. Und so kam es, dass meine Freundin mit ihrem Sohn im Freien Aktiven Kindergarten startete.

Vom kindlichen Wollen, Sollen und Müssen

Zwei Jahre später hatten wir die erste Einschulungsuntersuchung und wir erfuhren, dass unsere Tochter in ein oder zwei Punkten „nicht ganz altersgemäß“ entwickelt war und „Defizite“ hatte. Sie wurde zurückgestellt, und es wurden uns Maßnahmen empfohlen, die wir brav befolgen wollten. Doch das Kind hielt nicht so viel davon. Es begann eine anstrengende Zeit, in der wir unser Möglichstes versuchten die „Defizite“ unserer Tochter auszubügeln. Sie zu ihrer „altersgemäßen Entwicklung“ zu kriegen, um sie normgerecht startklar für die Schule zu machen. Doch unsere Tochter war keine „Erfüllerin“, die tat, was andere sich vorstellten. Sie sträubte sich mit all Ihrer Willenskraft gegen das „Soll“. Mal charmant und mit Witz, öfters jedoch mit Wut, verteidigte sie ihre gefährdete Integrität.

Irgendwann war ich erschöpft und das für mich größte „Defizit“ meiner Tochter war, dass sie nach alldem offensichtlich das Gefühl hatte, dass irgendwas mit ihr nicht stimmte. Und ich machte mir so meine Gedanken, wie es weitergehen sollte in einer Schule, mit Stillsitzen und Hausaufgaben, Sollen und Müssen. Es war wie ein aufziehendes Unwetter am Horizont.

Das Kind weist den Weg

Es muss im Herbst gewesen sein, als unsere Tochter mit ihrer Oma im Zoo gewesen war und glücklich eine Postkarte mitbrachte. Einen Werbeflyer mit der Überschrift „ALPHABET“, auf dem ein schwimmtauchendes Baby zu sehen war. Und weil sie das Baby so süß fand, musste die Karte zu den anderen Erinnerungsstücken an den Kühlschrank. Eines Tages nahm ich die Karte ab, um herauszufinden, um was es da eigentlich ging. Das Motiv erinnerte mich an das Cover des Nirvana Albums „Smells Like Teen Spirit“, nur dass dieses Baby nicht nach einer Dollarnote griff, sondern gleich nach der ganzen Welt, in Form eines Wasserballs. Doch ging es überraschender Weise nicht um Musik. Es war Werbung für einen Film des Regisseurs Erwin Wagenhofer zum Thema Bildung, der demnächst im Kino laufen sollte. Mein Partner und ich gingen hin.

Da saß ich nun im Kino, rund fünfeinhalb Jahre nach meinem ersten FAS Infoabend, und heulte wieder. Und als einer der Protagonisten des Films, Pablo Pineda Ferrer, sagte:

„Für mich gibt es zwei Konzepte: Das Konzept der Angst und das Konzept der Liebe. Und wenn wir bis jetzt mit dem Konzept der Angst gelebt haben, wird es Zeit, dieses zu verlassen.“

wusste ich plötzlich welchen Weg ich gehen wollte und welche Schule meine, inzwischen zwei Kinder besuchen sollten.

Dann traf ich auch meine Freundin wieder, deren Sohn mittlerweile die Freie Aktive Schule besuchte. Dieser Schritt sei der einzig logische gewesen, nach einer wunderbaren Kindergartenzeit, auch dort in die Schule zu gehen.

Immer wieder Vertrauen und Loslassen

Das ist jetzt wieder fünf Jahre her. Nie haben wir diese Entscheidung bezweifelt. Auch wenn es für mich nicht immer leicht war, die Sache mit dem Vertrauen und Loslassen. Es ist noch immer ein Weg, den wir zum ersten Mal gehen. Und Vertrauen und Loslassen ist nicht mein Spezialgebiet, der kleine Kontrollfreak namens Angst, der mit der Karte in der Hand auf meiner Schulter sitzt, in die mit einer dicken Linie ein Weg eingezeichnet ist, der gerade und ohne Umwege verläuft, grummelt manchmal noch immer leise vor sich hin. Aber er wird leiser.

Wer von euch Eltern oder Schülern auch einen Erfahrungsbericht über die FAS erzählen möchte, kann sich gerne an uns Blog-Schreiber wenden. Wir freuen uns über noch mehr Geschichten, die aus und von der FAS erzählen.

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