Ein Plädoyer von Antje für Lernen abseits eines vorgegebenen Taktes.
Schon früh fällt Eltern beim Vergleich ihrer Kindern auf: Jedes Kind ist ein Individuum. Kind A spricht mit sechs Monaten die ersten Worte, läuft aber erst mit eineinhalb Jahren. Kind B isst mit acht Monaten mit Löffel und Gabel, kann aber mit vier Jahren noch nicht durchschlafen. Zur Einschulung treffen sich diese Eltern wieder und stellen fest: Ihre Kinder können inzwischen beide laufen, sprechen, essen und durchschlafen. Sie haben es ganz instinktiv gelernt, aber eben nicht zur selben Zeit. Warum sollte es mit Dingen wie Schreiben, Lesen oder Rechnen anders sein? Warum sollte man hier auf ein Lernen im Gleichschritt setzen? Mein Fazit daraus ist: Lernen findet im persönlichen Tempo und Rhythmus des Lernenden statt und Erwachsene sollten sich dessen stets bewusst sein.
Lernen im Gleichschritt?
In unserem Kulturraum macht es großen Sinn, dass Menschen Grundsätzliches wie Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Aber warum muss jedes Schulkind dienstags um 9 Uhr bereit sein Lesen zu lernen? Wenn man dienstags um 9 Uhr doch viel lieber rechnen würde. Kind A hat sich früh für Zahlen interessiert und rechnet Ende der ersten Klasse sicher im Zahlenraum bis 1000. Kind B kann kaum drei Zahlen zusammenzählen, schreibt und liest dafür fließend längere Texte. Am Ende werden sie es beide irgendwann lernen, aber eben nicht gleichzeitig. Das gleich getaktete Lernen, wie es an vielen Regelschulen immer noch praktiziert wird, erscheint mir in dieser Hinsicht weder sinnvoll noch hilfreich.
Als Erwachsene haben wir die Freiheit uns mit einem ausgewählten Thema intensiv zu beschäftigen, wenn uns gerade danach ist und so lange wie es uns sinnvoll erscheint. Warum Kindern diese Freiheit verwehren? Der ständige Wechsel zwischen verschiedenen Fächern erscheint mir kontraproduktiv. Die ausdauernde Beschäftigung mit einem Thema bis dieses abgehakt ist, kann effektiver sein, als das klassische ‚Fächer-Hopping‘ im 45-Minuten-Takt.
Wenn ein Mensch bereit ist für ein bestimmtes Thema, dann wird er sich das notwendige Wissen schnell und effektiv aneignen. Wer mit Lust und Interesse an eine Sache herangeht, wird in kürzester Zeit Erfolge verzeichnen. So bleiben Lernfähigkeit, Lernbereitschaft und natürliche Neugier erhalten. Wer lust- und antriebslos, ohne den Wunsch sich die Sache wirklich anzueigenen, ein Thema erarbeiten muss, wird es schwer haben sich alles Notwenige zu merken. Frust und Stress sind dann eine logische Folge.
Freude am Lernen erhalten
Im Gespräch mit Eltern von Schülern anderer Schulen wird schnell klar: Eine der größten Herausforderungen für Lehrer ist heute der unterschiedliche Wissenstand der Schulkinder. Der Spagat zwischen Lehrplan und den gegebenen Voraussetzungen in den Klassen ist schwieriger denn je. Die einen Kinder langweilen sich, weil sie bereits alles wissen, die anderen sind frustriert, weil es zu schnell geht und sie nicht mitkommen. Lehrer haben dank vorgegebenem Lehrplan meist gar keine andere Wahl als Wissen nach dem Gießkannenprinzip über der Klasse auszuleeren. Die Schulkinder müssen es wie Schwämme aufsaugen, um das Wissen dann im richtigen Moment wieder aus sich herauszupressen. Die Fähigkeit selbstständig und selbstbestimmt zu Lernen geht dadurch im Laufe der Zeit verloren. Dabei ist dies in unserer schnelllebigen Zeit wichtiger denn je.
Ich persönlich bin froh, dass es heute Schulen gibt, die es Kindern ermöglichen in ihrem eigenen Tempo und Rhythmus zu lernen. Ich erhoffe mir dadurch, dass Lernbereitschaft und kindliche Neugier lange bewahrt bleiben. Wir lernen unser Leben lang, es wäre schade, wenn die Freude am Lernen bereits in den ersten Schuljahren vernichtet bzw. negativ belegt würde.