Eine der vielen Fragen, die man sich als Eltern an der Freien Aktiven Schule (FAS) stellen kann, ist: „Und was, wenn mein Kind nur spielt und nichts lernt?“ Verständlich. Eine elterliche, nachvollziehbare Sorge. Denn an der FAS gibt es fast keine Pflicht-Veranstaltungen, keine festgelegten Stundenpläne, keine einheitlichen Lernwege.
Der Entwicklungsstand eines jeden Kindes ist damit sehr individuell: Manche können bereits ein Jahr nach Schuleintritt lesen, andere verbringen die ersten vier Jahre nur in der Werkstatt. Doch ist diese Sorge, dass „mein Kind nichts lernt“ auch berechtigt? Wie funktioniert Lernen überhaupt? Und steht es im Widerspruch zum Spielen?
Im Kindergarten nichts gelernt?
Was im Kindergartenalter noch als angemessen gilt – einfach „nur“ zu spielen – endet nach dem Verständnis vieler Erwachsener mit dem Eintritt in die Schule.„Jetzt beginnt der Ernst des Lebens,“ heißt es dann oft.
Doch haben unsere Kinder im Kindergarten etwa nichts gelernt? Haben sie nicht aus eigenem Antrieb heraus die Namen aller bekannten Dinosaurierarten erfragt und auswendig gelernt? Können sie nicht auf einmal ihren Namen schreiben, weil sie es bei den Großen gesehen haben und auch lernen wollten? Sind sie nicht sozial kompetenter geworden und können sich auf dem Spielplatz nun selbst einigen, wer wie lange schaukeln darf? Gibt es also diese Trennung von Spielen und Lernen überhaupt?
Spielen ODER Lernen?
Der amerikanische Autor und Intelligenz-Forscher Joseph Chilton Pearce sieht das folgendermaßen und vergleicht ein spielendes Kind mit einem Wissenschaftler: Ein Kind, das intensiv und selbstvergessen mit einer Garnrolle spielt, lässt unter seinen Händen und in seiner Phantasie daraus zum Beispiel eine Dampfwalze oder einen Müllwagen entstehen. Genau aus diesem Kind kann später ein Wissenschaftler werden, der in vollkommener Aufmerksamkeit, Konzentration und Kreativität aus vertrauten Gegenständen oder Gedanken etwas völlig Neues, noch nie da Gewesenes entstehen lässt. Denn sowohl das Kind als auch der Wissenschaftler haben beide die Fähigkeit, die Welt entsprechend ihrer inneren Bilder zu verändern. Anders gesagt:
„Kinder schulen im Spiel ihre Fähigkeit, die Welt auf völlig neue Weise entstehen zu lassen – das ist das Wesen der Kreativität, die dann im begnadeten Wissenschaftler oder Künstler zur Reife kommt.“
Joseph Chilton Pearce
Haben wir den Flow verlernt?
Vielleicht kennen wir selbst das Gefühl dieser absoluten Versunkenheit noch aus unserer Kindheit. Diese Momente, in denen man sich ganz im Sein und Tun verliert. In denen die Zeit gleichzeitig still zu stehen und zu rasen scheint. Manchmal hat man dieses Gefühl auch als Erwachsener noch. Ganz einzutauchen in eine Sache. Nicht mehr denken, nur noch Sein, Fühlen und Tun. In den Flow kommen.
Meist sind Erwachsene jedoch nicht bereit ihrer Welt diese Art konzentrierter Aufmerksamkeit zu geben. Sie haben mittlerweile für sie nützliche und vermeintlich effektive Mechanismen entwickelt, die ohne nachzudenken funktionieren. Ausnahmen davon können Situationen sein, in denen wir unseren Hobbys nachgehen, wie zum Beispiel Klavier spielen oder meditieren oder töpfern.
Spielen UND Lernen!
Kinder haben diese Mechanismen noch nicht entwickelt. Sie können sich noch für viele Sachen begeistern und darin versinken. Für sie ist das Spiel, laut Pearce, eine Möglichkeit Grenzen zu überschreiten und Muster zu durchbrechen. Jedoch nur, wenn sie sich sicher fühlen. Verspüren sie keine Sicherheit, ist ihre Aufmerksamkeit geteilt. Ein Teil ist dann zu Verteidigungszwecken abgestellt. Dieser Teil ist für die Sache verloren.
Auch uns geht es so: Sind wir innerlich zerrissen oder fühlen wir uns beobachtet, geht unsere Aufmerksamkeit in die Brüche. Wie fokussieren uns nicht mehr ganz auf unser Tun. Wir haben die Beobachter im Hinterkopf, wir denken ständig über das nach, was wir tun.
Unsere Kinder können – noch – in ihrem Spiel versinken, sich selbst vergessen und sich sicher fühlen. Und so ihre eigenen Lernwege finden und ausleben.
„Diese Art von Spiel ist die natürliche Ausgangsbasis für Wohlbefinden, persönliche Bestleistungen und optimales Lernen.“
Joseph Chilton Pearce
Lernwege an der FAS
An der FAS wird den Kindern genau diese Ausgangsbasis geboten, von der Pearce spricht: Sie dürfen ihren eigenen Entwicklungsbedürfnissen folgen, ihre persönlichen Lernwege finden, ihr individuelles Lerntempo gehen. Die begleitenden Erwachsenen – und möglichst genauso die Eltern – üben sich dabei in Geduld. Sie drängen nicht darauf, dass bestimmte Prozesse in einem von Erwachsenen festgelegten Zeitraum geschehen. Sondern sie geben den Kindern Monate oder Jahre, um sich auf allen Gebieten, die zur Persönlichkeitsentfaltung gehören in ihrem Tempo zu entwickeln. Es wird ihnen ermöglicht, spielend zu lernen, mit allen Sinnen.
Im praktischen Alltag kann das so aussehen: Beim Malen im Sand kann ein Kind Sandbuchstaben mit den Fingern erfühlen. Das Lesen hat das ein oder andere Kind beim Spielkarten tauschen gelernt. Manche kommen über das Arbeiten in der Werkstatt zum Rechnen. Empathiefähigkeit mit sich selbst und anderen entwickelt sich beim Pferd spielen, beim Bauen mit Kapla oder beim Proben für eine Theateraufführung. Ja, auch wenn sie vermeintlich „nur“ spielen, so lernen sie eben doch sehr viel!